Vortrag vom 18.10.2003 von Prof. Jürgen Weber im Städtischen Museum, Braunschweig
über das Leben und das Werk von Paul Egon Schiffers

Hinweis des Webmasters: An den Stellen, die mit drei hintereinandergesetzten Sternchen *** gekennzeichnet sind, wurden Auslassungen vorgenommen um den Text internetgerecht zu straffen. Bezüglich der besonderen Verhältnisse des Braunschweiger "Kunst- und Kulturbetriebes" verweisen wir auf Prof. J. Webers Buch "Das Narrenschiff" .

Der Webmaster bedankt sich bei Herrn Prof. J. Weber für die Erlaubnis, den Vortrag- bzw. wesentliche Teile daraus- an dieser Stelle zu veröffentlichen. Die Hervorhebungen im Text hat der webmaster vorgenommen, da die entsprechende Textstellen nach seiner Meinung zu den Kernaussagen des Vortrages gehören.

Es folgt der Vortrag über Paul Egon Schiffers und sein Werk

Heute vor 100 Jahren wurde Paul Egon Schiffers geboren. Er war sicherlich einer der bedeutendsten Künstler in Braunschweig in den letzten 100 Jahren. Das wäre allerdings ein Grund für eine Jubiläumsausstellung gewesen, die aber in dieser Stadt nicht zustande gekommen ist. Auf alle Fälle wäre der Bund der Bildenden Künstler dazu verpflichtet gewesen, falls es es in ihm noch Bildende Künstler gibt.
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Paul Egon Schiffers war eigentlich kein Braunschweiger. Er ist in Aachen geboren. In unsere Stadt ist er erst gegen Ende des Krieges gekommen. Er war als künstlerischer Lehrer- nicht als Professor- an die Handwerkerschule, die spätere Kunstgewerbeschule und die heutige Kunsthochschule berufen, allerdings nur auf dem Papier, in Wirklichkeit war er an der Front.

Die letzte Ausstellung einiger Werke von ihm geschah im Städtischen Museum und im Landesmuseum innerhalb der Ausstellung "Kunst im Nationalsozialismus" in Braunschweig, die im Jahre 2000 fast drei Monate zu sehen war. Zu seiner Berufung an diese Handwerkerschule lesen wir in dem Katalog "In Anbetracht dessen , dass die NS gezielte Personalpolitik betrieben hat, um leitende Stellungen mit Personen ihres Vertrauens zu besetzen, wird man auch bei den Berufungen dieser Jahre darauf geachtet haben, Künstlerpersönlichkeiten einzustellen, die mit der Kunstauffassung der Nationalsozialisten konform gingen und ein möglichst überregionales Renommee genossen. Dieses traf auf die beiden BildhauerSchiffers und Kasper sicherlich zu. "

An einer anderen Stelle des Katalogs wird dem Leser mitgeteilt, dass sich Schiffers während des Nationalsozialismus immer mehr an Breker und seinen monumentalen Figuren orientiert hätte. War Schiffers also ein typischer Verteter nationalsozialistischer Kunst und genoß er das Vertrauen der Nationalsozialisten ? Das jedenfalls behauptet dieser Katalog, der ausdrücklich als "wissenschaftlich" gekennzeichnet worden ist .
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Auch der "Spiegel" hat mit einer vereinfachten Artikelüberschrift "NS-Kunst" ausgerechnet eine Figur von Schiffers zum Titelbild dieses Artikels gemacht. Ja dürfen wir überhaupt diesen hundertjährigen Geburtstag feiern ? Wäre es nicht besser und richtiger, darüber mit Stillschweigen hinwegzugehen ? Aber schauen wir uns trotzdem einmal das Leben und das Werk Egon Schiffers an:

Mit 20 Jahren besuchte er die Kunstgewerbeschule in Aachen. 1924 ging er an die Technische Hochschule der gleichen Stadt zu Prof. Halbreiter. Kurze Zeit später, 1924/25, absolvierte er eine 6-monatige Ausbildung als Steinmetz. Aachen und seinen Professor Halbreiter verließ er bald , weil er, wie er sagte, nicht zum Expressionisten ausgebildet werden wollte. Das war die Zeit, als der Expressionismus überall "in" war. So schreibt der berühmte Gestaltpsychologe Rudolf Arnheim, der als Jude bereits 1933 aus Deutschland emigriert ist, in einer seiner vielen Schriften, der Expressionismus wäre chic gewesen, jede Kneipe hätte ihre expressionistische Dekoration mit schiefwinkligen Häusern, grellen Farben und geometrischen Menschen etc. gehabt. Es war schließlich auch die Zeit, in der die großen Expressionisten einer nach dem anderen diesen Stil aufgaben und sich dem Naturstudium widmeten, häufig nicht zu ihrem Vorteil.
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Den verspäteten Expressionismus wollte Schiffers auf alle Fälle nicht mitmachen. Er ging deshalb in die Schule Scheibes, des Bildhauers, der so viele berühmte Schüler hatte wie z.B. Gerhard Marcks, Waldemar Grzimek und andere. Es war eine Klasse, in der gründliches Naturstudium gelehrt wurde. Man hoffte, so aus der Sackgasse des immer oberflächlicher stilisierten , späten Expressionismus wieder herauszukommen. Richard Scheibe schickte Schiffers auch nach Paris, Italien und nach Belgien zur Erweiterung seines Horizontes.

Da Schiffers ein hochbegabter Zeichner war, erhielt er bereits 1929 als 26-Jähriger unter Prof. Wiechert als Assistent die Leitung einer Aktzeichen- Klasse.

Politisch scheint sich Schiffers nie betätigt zu haben. So hat er auch die Machtübernahme durch die Nazis in erster Linie aus künstlerischer Perspektive betrachtet. Am 22. April 1933, also als 29-Jähriger, schrieb er an Gerda, seine spätere Frau:"Kaum wieder hier, beginnt der Tanz von neuem. Man hat unsere Darmstädter Ausstellung zunächst untersagt. Ob denn wirklich alles verbaut werden soll ? Es ist schon so: Die klassische Zeit der Kunst ist mal wieder vorbei. Diese Tatsache wird wohl erst erkannt werden in der Öffentlichkeit, wenn die Werke schlechter, kleinlicher, nützlicher, tendenziöser geworden sind. Geistig ist der Höhepunkt überschritten jedenfalls. Es bleiben den Trägern des Geistes zwei Wege: tragischer Untergang und Verkennung und hinterher schäbiger Nachruf, oder aber schamlose Unterwerfung und Untergebung und scheinbarer augenblicklicher Erfolg. Kleine Leute, ja die können jetzt neu mitkommen...."

Zwei Monate später , im Mai 1933, schreibt er wieder an Gerda: "... Scheibe bekommt nun auch sein Gehalt nicht mehr, ist also nicht nur beurlaubt worden, sondern entlassen. Marcks in Halle ebenfalls. Scheibe geht's gar nicht gut ... Wie gesagt, Gerhard Marcks ist auch seines Amtes enthoben. Er hat eine Familie von 5 bis 6 Kindern."

Das klingt nun gar nicht nazistisch, so wie es das neue Nazi-Lied ausdrückt: "Die dunkle Nacht ist nun vorbei und herrlich beginnt es zu tagen. Wach auf Kamerad, du bist jetzt dabei, frisch auf, wir wollen es wagen." Nein , nicht Aufbruch, Niedergang sah Schiffers.
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Man muss sich einmal klarmachen, ein junger, noch nicht einmal 30-Jähriger durchschaut von Anfang an den Nationalsozialismus, jedenfalls was seine künstlerischen Äußerungen anbelangt. Er konnte - im Unterschied zu den heutigen Kunstinteressierten- zwischen Naturstudium und naturnaher Kunst auf der einen Seite und idealisierter, stilisierter Mache der Nazi-Kunst zum Zwecke der Rassen-Propaganda sehr wohl unterscheiden.

Er wurde also freischaffender Künstler und verdiente dabei fast gar nichts, jedenfalls so wenig, dass er nicht in der Lage war, zu heiraten. Seine Frau hat er erst nach 10-jähriger Bekanntschaft 1940 heiraten können. Natürlich ist er nicht in die Partei eingetreten, wie es fälschlicherweise auf einer großen Lebenslauf-Tafel in der Ausstellung zu lesen war. Im Katalog hat man auf diese Behauptung verzichtet.
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Doch betrachten wir jetzt seine Werke. Zuerst einmal - weil es beruflich damit angefangen hat- seine Aktzeichnungen. Den sicheren Strich und die plastischen Schraffierungen , die verschiedenen Techniken, Bleistift und Rötel, die selbstverständliche Beherrschung der Figur in der unendlichen Fülle ihrer Bewegung und komplizierter Überschneidungen, reine Konturdarstellungen, durchgezeichnete Akte. Aber auch sensible Landschaften und Porträts, letztere können wir außer der gezeigten Selbstporträtzeichnung nicht zeigen. Alles mit todsicherem Instinkt ins Graphische übersetzt, niemals in billigen Naturalismus abgleitend.

In der Bildhauerei ging es nicht so schnell. Die erste von ihm erhaltene knapp lebensgroße Figur, eine Stehende, 1931/32 , er nannte sie"Rosemarie", zeigt zwar im Detail Sensibilität, schafft aber den Kontrapost und den Übergang vom Becken zum Thorax nicht schlüssig, plastisch eben eine Schüler-Arbeit. Er war damals 26 Jahre alt. Ich z.B. fing erst mit 24 Jahren mein Bildhauerstudium an.
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Langsam wird er immer sicherer in der plastischen Beherrschung der Natur und lernt die Entwicklung der Skulptur von Hildebrand über Rodin bis zu Lehmbruck kennen. Das zeigt sich schon bei der sogenannten "Goldenen" von 1936, mit der er beweist, dass er den Polyklet'schen Kontrapost beherrscht, wenn er damit auch noch nicht zu einem eigenen Figurenausdruck gefunden hat.

Der"sitzende Sportler" von 1936- Schiffers ist jetzt also 33 Jahre alt - zeigt schon eher eine Einheit zwischen Natur und Ausdruck. Das schöne plastische Spiel des jugendlichen, keineswegs heldenhaft übertriebenen Körpers , seiner bewegten, atmenden Oberfläche, dem sensiblen Aufsetzen der Füße und dem besinnlichen Lächeln. Kein sportlicher Held und Sieger, kein stilisierter Übermensch wie er bei den Nazis beliebt war, sondern die realistische Wiedergabe einer Pause zwischen zwei sportlichen Übungen. Wir wissen nicht, wieviel Figuren Schiffers in diesen brotlosen Jahren zwischen 33/34 und 37/38 geschaffen hat, eine Bombe, die 1941 sein Atelier traf, hat vieles zerstört.

Auf alle Fälle gige es ihm in diesen Jahren ziemlich schlecht. So nahm er dann 1937 einen Ruf an die Kunstakademie von Frankfurt als Leiter der ehemaligen Scheibe- Klasse an, allerdings nicht als Professor. Er lehrte Modellieren und Aktzeichnen , gab außerdem Anatomie-Unterricht für die ganze Schule.

Aber 1938 legte er diesen Lehrauftrag bereits wieder nieder, weil er nun zwei Aufträge erhalten hat, von denen er leben konnte. Beginnen wir mit dem großen Auftrag von 1939 für zwei Monumentalfiguren, die mit einer Höhe von 3,70 m die Auffahrt einer Kaserne im hessischen Friedberg säumen sollte, so steht es im Katalog der "Kunst im Nationalsozialismus".

Dann lesen wir weiter im gleichen Katalog "... Der Vergleich zu früheren Arbeiten ... weist deutlich auf stilistische Veränderungen im Werk Schiffers hin, die sich seit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten verstärkt beobachten lassen. An Stelle der realistischer Wiedergabe des Geschehenen tritt eine künstlerische Überhöhung der Figuren durch Monumentalität und Muskulosität. Statt des gelobten lebendigen Ausdrucks herrschen nun eine ungewohnte Kühle und Distanz vor. Schiffers nähert sich mit dieser Figur der heroischen Formsprache eines Arno Breker, dessen Figuren in den späten und vierziger Jahren so allgegenwärtig wie richtungsweisend waren."

Das sind Worthülsen, die man für Nazi-kunst parat hat. Die Autorin konstuiert bei Schiffers einen künstlerischen Bruch im Zusammenhang mit der Machtübernahme, obgleich nur wenige Künstler eine so schrittweise organische und ungezwungene Entwicklung vom Naturstudium zum persönlichen Ausdruck durchgemacht haben wie er. Von welchem Bruch spricht sie eigentlich, welche Figuren meint sie ? ....

Von dem "sitzenden Sportler" von 36 zu dem "Schleuderer" im Jahre 39 sehe ich nur eine Entwicklung zur größeren formalen Konzentration und zur souveräneren plastischen Beherrschung der Natur im Sinne ruhigen gespannten Flächen und kleineren, sich lebendig unter der Haut bewegenden Formen. Vergleichen wir die Oberfläche von Schiffers "Schleuderer" mit der von Brekers "Bereitschaft", so erkennen wir einen natürlichen Menschen gegenüber einem Akt, der zu einer Art gebügelter SS-Uniform stilisiert ist. Ein besinnlicher, von kämpferischen Ausdruck weit entfernter knieender Mensch gegeenüber einem brutalen Sieger, wie geschaffen füe die Reichskanzlei Adolf Hitlers. Nichts vom Sieg der nordischen Rasse, nicht einmal den Schleuderer kann man richtig erkennen, er könnte auch das Stück Erde vor ihm aufmerksam beobachten, wie Schiffers spätere "Ameisenguckerin". Der Schleuderer könnte mit seiner Schleuder wie mit einem Handtuch auch den Boden vor ihm freifegen wollen.

Ist denn der Dame, die darüber geschrieben hat, nicht aufgefallen, dass der Kopf ein Selbstporträt ist von der gleichen Qualität wie das frühere Selbstporträt von 1929 ? Nein, diese Figur für die Auffahrt einer Kaserne hätte ein Kämpfer, ein Sieger sein müssen, sie kann den Nazis nicht gefallen haben. Und so ist dann die Ausführung, die schon in Gips von einer englischen Bombe zerstört worden ist, auch nicht wiederholt worden, obgleich das 1:5 Modell unversehrt geblieben ist. Schiffers mußte wieder an die Front, im Gegensatz zu den meißten anderen Künstlern dieser Zeit. "Ja, aber die immense Größe" sagen einige , die war doch nazi-haft. Nun der Schleuderer von Michelangelo , der "David", ist fast 4 1/2 Meter hoch. Es kommt bei der Größe der Figur auf die Umgebung, auf die Maßstäbe zum Raum an, das ist doch nicht schon per se Ideologie. Schiffers hat außerdem nur einmal in seinem Leben eine so gigantische Figur geplant. Nirgends im Großdeutschen Reich stand oder steht eine überlebensgroße Figur von Schiffers, wie in der Braunschweiger Kunsthochschule beharrlich behauptet wird. Aber konnte denn ein Nicht-Nazi überhaupt einen solchen Auftrag bekommen ? Natürlich war das in Ausnahmefällen möglich, so durchorganisiert war der Kunstbetrieb im 6. Jahr nach der Machtergreifung noch nicht.

Aber wenn Schiffers wirklich kein Nazi war, warum hat er dann diesen Auftrag angenommen ?

Das kann nur fragen, der diese Zeit nicht miterlebt hat: ***

Schiffers hat kurz vor Kriegsausbruch diesen Kasernen- Auftrag angenommen, um ihn in einer für die Nazis letztlich inakzeptablen Weise auszuführen- so brauchte er auch erst einmal nicht an die Front, an die er als Anti-Nazi nicht wollte. Da er jung war (36) und nicht Parteigenosse, wäre er sonst auf jeden Fall eingezogen worden.

1940 bekam er durch eine Vermittlung von Albiger , einem befreundeten Bildhauer, einen Ruf an die Kunstakademie in Dresden, den er aber nicht antreten konnte, weil der Gauleiter von Sachsen, als er von dieser Berufung hörte, sie eigenmächtig rückgängig gemacht hat. Auch das spricht nicht gerade für die Wahrheit der Behauptung in diesem wissenschaftlichen Katalog, Schiffers wäre mit der Nazi-Kunst "konform" gewesen. Nein, es ging bei dieser Behauptung wohl um etwas ganz anderes. Aber bevor ich diese Frage beantworte, muss ich noch einiges anders zeigen und berichten:

Die "sinnende Hockende", welche das Städtische Museum 1944 für 4000 Reichsmark angekauft hat, drückt wieder das gleiche aus, das besinnlich Überlegende, das Ruhige, das eigentlich nicht Aktive, das nicht Kämpferische , das, was Schiffers Person selber ausmachte. Darum hat er sich unwidersprochen so viel Demütigendes gefallen lassen müssen, bis zum Tode. Auch hier wieder die sanft schwellenden, plastischen Volumen, der Gegensatz zwischen Gestrecktsein auf der linken Seite und Gestauchtsein rechts, die leichten Achsenverschiebungen zwischen Thorax und Becken, Schultern und Kopf, die unsymmetrisch gekreuzten Arme auf dem hochgesetzten Knie. Wie anders im Ausdruck als die "Große Verweigerung" von mir, welche in manchem kompositorischen Detail vergleichbar ist. Schiffers hatte jetzt einen unverwechselbaren, seinen eigenen Ausdruck, mit dem er zweifellos stärker als Kolbe, Edzard bei weitem überlegen, und vielleicht auch Scheibe- allerdings nicht als Lehrer. Aber hier wurde er immer verkannt. Ich komme darauf noch zurück.

Fast alle Figuren, auch diese, haben porträthafte Züge, nicht den der normierten Arier oder der nordischen Gebärerin , sondern Züge des Modells, das ihm gesessen oder gestanden hat- er hat oft nach Modell gearbeitet- oder aber Selbstporträts , also keine verallgemeinernde heroische stilisierende Rassendarstellung, sondern Zeugnisse persönlicher Begegnung.

Darum hatte er auch ein so großes Interesse an Porträts. Ich zeigte schon sein frühes Selbstbildnis von 1929, ein Jahr später porträtierte er Nena Kuhn, 1930. Nicht ganz so in sich verschlossen wie sein Selbstbildnis, stärker dem Gegenüber zugewandt, aber doch still und lebendig durch die verhaltenen Asymmetrien um den Mund herum, die Augen, auch um die Nase, ein lebendig vor- und zurück sich bewegendes Volumen unter einer gespannten Oberfläche. Das macht so schnell keiner besser.

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Als Beweis für Schiffers nationalsozialistischer Gesinnung wurden dann auch die Ausstellungen angeführt, 1939/40 und 43 war er in der Deutschen Kunstausstellung in München vetreten, 1939 in der Frühjahrsausstellung der damals noch existierenden preußischen Akademie. Aber das zeigt nur die Unkenntnis derer, die das sagen, und die dringende Notwendigkeit , die ganze Zeit wirklich einmal kunstgeschichtlich aufzuarbeiten. Wo sollte denn ein unbekannter Bildhauer oder Maler überhaupt ausstellen ? Natürlich, noch 1937 und 38 gab es in Berliner Privatgalerien Ausstellungen von Gerhard Marcks, der eine Generation älter und viel bekannter war. Schließlich war der ganze Kunstbetrieb in den 6 Jahren von der Machtergreifung bis zum Krieg noch nicht durchorganisiert, wie der der freiheitlichen Bundesrepublik z.B. z.B. in den 60-er und 70-er Jahren. Auch Gegner des Regimes fanden noch private Ausstellungsmöglichkeiten, aber offizielle nicht. Andererseits aber waren in den offiziellen Ausstellungen auch viele Nicht-Nazis vertreten und Kunst, die keineswegs etwas mit nationalsozialistischer Kunstauffassung zu tun hatte. So schnell ließ sich nicht alles umwandeln und umorganisieren. Und wenn ein Künstler überhaupt von seiner Tätigkeit leben wollte, musste er ausstellen. Das war kein Bekenntnis zur herrschenden Ideologie. Und wo ist denn eigentlich das Hitler-Porträt von Schiffers, einem Porträtisten, wie es wenige gab ? Schon dieses Fehlen war eine Provokation. Der Gauleiter Sachsens, dem damals braunsten Land im großdeutschen Reich, wusste schon, warum er die Berufung Schiffers nach Dresden rückgängig gemacht hat.

Im September 1946 kam Schiffers dann aus dem Krieg und Gefangenschaft zurück. Jetzt hätte er seine Stelle an der Handwerkerschule antreten können, wenn nicht das Gebäude völlig zerstört gewesen wäre. Gemeinsam suchten die Lehrer, bis sie ein weniger beschädigtes Haus fanden, in dem dann auch etliche von ihnen selber wohnten, so auch Schiffers. Das Gebäude war so kaputt, dass es kaum zu heizen war. Die Aktmodelle froren tapfer auf ihren Podesten.

***Anmerkung des webmasters: "Es folgen einige Ausführungen des Vortragenden über die Kunstszene und über die speziellen Verhältnisse an der städtischen Kunstschule in Braunschweig, die wir den Interessierten in Jürgen Webers Buch "Das Narrenschiff" nachzulesen bitten . "
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Das war der Punkt. Egon Schiffers ist nach der Nazi-Zeit zum Nazi gemacht worden, weil er gegenständlich arbeitete, und der ehemalige Reichsleiter der Reichskammer der Bildenden Künste war Demokrat, weil er sich für abstrakte Kunst einsetzte.

***Es war wie überall in der Bundesrepublik: Wer gegenständlich arbeitete, war Nazi, und wer abstrakt arbeitete oder sich für Abstrakte einsetzte, war Demokrat.
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Aber Egon Schiffers war das gewöhnt- aus der Nazi-Zeit- in einer feindlichen Umgebung zu leben . Insofern paßte er in die von Prof. Zimmermann so genannte Gruppe der verschollenen Generation derer, die kurz nach 1900 oder um 1900 geboren waren, die bei der Machtübernahme noch niemand kannte und die nach 1945 weiter in ihrer Art gegenständlich malten oder bildhauerten wie der Maler Franz Frank z.B., und die nun wieder die Parias des Kunstbetriebes waren, die Gegenständlichen, die ewig Gestrigen, die Nazis. Ich selber habe das auch gründlich miterlebt. Das habe ich im "Narrenschiff" geschildert.

Trotz dieser ständigen Pression wurde das Werk Schiffers immer fruchtbarer, jetzt ungehindert durch Kriegseinsatz, Kriegsgefangenschaft oder Armut. Er bekam sogar während der 40 Jahre seines Braunschweiger Lebens von der Stadt zwei Aufträge. Einmal ein Mahnmal für die Toten des zweiten Weltkriegs und später eine "Hockende" für die Stadtbibliothek. Die Vorarbeiten für das Mahnmal waren ein junges Mädchen, das an die Figuren von Richard Scheibe erinnert. Aber es ging wohl um das Tuch, eine der ersten Gewandstudien Schiffers, weil die Trauernde eben kein Akt, sondern eine Gewandfigur werden sollte. Die Art, wie er das Tuch dem jungen Mädchen um die Schulter gelegt hat, zeigt schon wesentliche Erkenntnisse des Faltenwurfes, wenn auch manches zu graphisch und zu wenig plastisch aufgefaßt war. Diesen Mangel behielt dann auch die in Kalkstein ausgeführte trauernde Frau, die heute am Dom steht. Sie war für den Platz vor der Magnikirche gedacht. Auf Betreiben von *** und *** wurde sie dann gegen den Willen Schiffers viel zu hoch am Dom aufgestellt, wie gesagt, das Urheberrecht war damals noch nicht so weit entwickelt wie heute.

Die Trauernde war sicher eine schwierige Aufgabe für ihn, da in dem Lebenswerk Schiffers das Relief sehr selten vorkommt, und ein Gewand über einem Körper hat viel mit Relief zu tun. Das einzige kompliziertere Relief, wenn ich von dem Läufer-Relief in der Gauß-Schule absehe, hatte er 1937/38 ebenfalls für eine Kaserne gemacht. Es waren Kampfszenen aus der Vergangenheit und Gegenwart. Sie sind zerstört, die erhaltenen Fotos zeige ich Ihnen nicht, weil sie nicht typisch für Schiffers sind. Er hat sich über die Problematik des Reliefs mit stilisierten und dekorativen Falten hinweggeholfen. Obwohl Schiffers ein großer Zeichner war, war das Relief eben nicht seine Sache. Außerdem sind die Reliefs von Bomben zerstört.
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Kurz vor seinem 60 sten Geburtstag erhielt er dann von der Stadt den zweiten Auftrag und schuf eine fast lebensgroße Figur, "die Stille" oder "die Sinnende" . Sie nimmt in ihrer Komposition die Sinnende oder Hockende , welche sich in dem Städtischen Museum befindet, wieder auf, aber wie anders ist ihr Ausdruck. Immer noch die gleichen Verschiebungen, auch die Komposition wäre sehr ähnlich zu beschreiben. Und doch ist das architektonische Element , also das Geometrische in der Figur viel beherrschender, obgleich die Oberfläche sinnlich geblieben ist. Ganz offensichtlich ist eine Entwicklung zu erkennen, die nach der Eroberung der Naturerkenntnis Schritt für Schritt immer strengere geometrische Grundstrukturen als kompositionelles Gerüst verwendet, ohne dabei Eingeständnisse gegenüber dem abstrakten Zeitgeist zu machen. Die Figur ist sensibel durchgearbeitet, obwohl zu der Zeit unter dem Einfluss Marino Marinis wilde aufgehackte Oberflächenstrukturen Mode waren. Zu bemerken wäre allerdings, dass die Figur besser aufgestellt werden könnte.
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1967 modellierte er "das horchendeMädchen", ein häufiges Thema vom Anfang des Jahrhunderts, aber hier wesentlich naturnäher einerseits, und andererseits auch humoristischer aufgefasst als bei den allzu allegorischen Figuren dieses Motivs von Gerhard Marcks. Dazu eine Gegenfigur, die wieder mit der beschriebenen Geometrie arbeitet, Füße zusammen, Kniee auseinander, Ellenbogen zusammen, Hände zusammen. Immer wieder Varianten ähnlicher Geometrie, die aber niemals die Lebendigkeit, den Liebreiz und die Heiterkeit mildern und jedesmal anders sind. 1966/67 , kurz vor seiner Emeritierung, schuf er diese "Stehende", jetzt wieder ein Kontrapost, aber wieviel souveräner als der von der schon gezeigten "Goldenen" und gesteigert durch die geometrische halbkreisförmige Haarfrisur im Gegensatz zur organischen Form.

Ganz zum Schluss beginnt die Geometrie immer stärker zu triumphieren. ... Es war das Ende einer langen Entwicklung von naturnahen Srudien über eine immer deutlichere dreidimensionale geometrische Vorstellung bis zu dieser blockhaften Vereinfachung, jetzt auch der Details. Es war ein Ende, das nicht mehr weiterzuführen war. 1969 wurde Schiffers emeritiert.

Schon damals, als er lebte, kannten ihn nur wenige. Heute ist er fast vergessen. Man hatte ihn mit dem Knüppel des Nazi-Terror mundtot gemacht, obwohl dieser Vorwurf auf kaum jemanden weniger zutraf als auf ihn. Nachzutragen bleibt, dass die Behauptung, er sei 1941 in die Partei eingetreten, auf einem Schwindel der Nazis beruht: Als er den Schleuderer fast beendet hatte, hat ihn irgendjemand in die Liste der Parteigenossen eingetragen- vielleicht wegen des Kasernen-Auftrages. Er selbst hat davon viel später erfahren. Er hat nie einen Antrag gestellt und unterschrieben. Das hat die allierte Entnazifizierungskommission auch anerkannt und ihn in die Gruppe der Unbelasteten (V) eingeordnet.

Das, was in dem beschriebenen Katalog steht und was der Spiegel dann wieder aufgegriffen hat, ist Verleumdung, grenzt an Rufmord. Die Stadt hat einiges an Schiffers wieder gutzumachen. In seinem Atelier und den Nebenräumen stehen seine Figuren in Gips dicht gedrängt. Niemand will diesen Nachlass aufnehmen, was soll in Zukunft mit ihm geschehen ? Warum wird ein Künstler übersehen oder gar schlecht behandelt, der zu den besten dieser Stadt gehörte- vielleicht gerade deswegen ?

Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.

Ende des Vortrages von Prof. Jürgen Weber am 18.Oktober 2003 in Braunschweig anlässlich des Jahrestages des 100 sten Geburtstages von Paul Egon Schiffer.

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